Südamerika

Die Auswanderung aus dem Tecklenburger Land nach Brasilien begann ungefähr um 1865. Angeregt wurden die Auswanderer durch den evangelischen Pfarrer Wilhelm Kleingünther aus Ibbenbüren. Er ging als deutscher Pfarrer nach Porto Alegre im Bundesstaat Rio Grande do Sul im Süden Brasiliens. Er warb hier für die Auswanderung nach Brasilien, woraufhin mehrere Personen aus Leeden mit ihm gingen und den Ort Teutonia gründeten.
Jeder Auswanderer erhielt 300 Morgen Land für 300 Taler zugewiesen. Angebaut wurden Mais, Kartoffeln, Getreide, Kaffee, Tabak, schwarze Bohnen, Gemüse und Früchte.
Gräbersuche zwischen Hunsrück und Südamerika
von Helmut Kuhn
Nachdem Helmut Kuhn im letzten Heft der "Hunsrücker Heimatblätter" die Auswanderung seines Vorfahren Johann Adam Kuhn aus Hahn nach Brasilien ausführlich beschrieben hat, macht er sich nun auf die Suche nach Zeugnissen über dessen Leben und Sterben in der neuen Heimat Brasilien. Über seine Nachforschungen hat er im März 2015 den Hunsrücker Familienforschern in Ravengiersburg berichtet. Nach einer redaktionellen Überarbeitung drucken wir seinen Vortrag leicht gekürzt hier ab, weil das Interesse an der Familienforschung von Seiten der zahlreich ausgewanderten Hunsrücker immer mehr zunimmt! (w. Heinemann)
Genealogie in Stein gemeißelt - Familiengeschichte hinter Friedhofsmauern
Neben Ortsfamilienbüchern, Ahnenlisten und Stammbäumen als personengeschichtliche Sekundärquellen nehmen in der Familienforschung immer häufiger Grabstätten auf Friedhöfen eine bedeutende Rolle ein. Im Internet finden sich vermehrt solche Dokumentationen. Zahlreiche Arbeitskreise haben sich gebildet und tauschen sich weltweit aus. Diese in Stein gemeißelten Dokumente gewähren Einblicke in das Leben Verstorbener sowie deren Daten von Geburt und Tod, überliefern Namen von nahen Verwandten oder bekannten Persönlichkeiten.
Aber auch die Bestattungskultur mit speziellen Grabformen der jeweiligen Vergangenheit wird dokumentiert. Im Laufe der Zeit sind viele Grabinschriften verblasst und nicht mehr lesbar. Aus diesem Grunde finden sich immer mehr Menschen bereit, Grabsteine und ihre wertvollen Informationen für die Nachwelt zu bewahren, zu restaurieren und damit zu retten.
Konkret soll von Grabstätten deutschstämmiger Auswanderer und ihrer Nachkommen in Südamerika berichtet werden, aus Brasilien und Argentinien und besonders von Hunsrückern, die zu den ersten Einwanderern zählten und dort die Provinz Rio Grande do Sul rund um Sao Leopoldo und Neu-Hamburg besiedelt haben. Der heute noch weit verbreitete Zusammenhalt der Familien ist beeindruckend und kommt einem bei Exkursionen zwischen Gräberfeldern auf verschiedenen Friedhöfen zupass.
Wer die Nutzungsfristen und Ruhezeiten auf deutschen Friedhöfen kennt, stellt verwundert fest, wie über Generationen hinweg die Grabstätten der Ahnen in Südbrasilien gepflegt und als familiäres Kulturerbe erhalten und gepflegt werden. Es hat sich dabei ein starkes Bedürfnis nach familiärer Bindung auch über den Tod hinaus entwickelt. Nach 180 Jahren bestehen auch noch Kontakte nach Deutschland zu zahlreichen Verwandten, die von unserer gemeinsamen Hunsrücker Familie abstammen und denen dies auch noch bewusst ist. Biographien der Vorfahren fesseln, und der familiäre Zusammenhalt berührt und fasziniert immer noch. Das Internet trägt seinen verbindenden Teil dazu bei.
Die eindrucksvollen Abenteuer der Schiffsreise 1827, als zwei Kuhn-Familien vom Hunsrück aus illegal auswanderten und sich in der neuen Welt eine Existenz aufbauten, war Anhaltspunkt für unsere Nachforschunqen. Weitere Familien folgten deren Beispiel, die einen innerhalb Rio Grande do Sul/Brasilien und die anderen auf ihrer späteren, weiteren Wanderungen in der Provinz Misiones/Argentinien und neuerdings nach Mato Grosso. Der Familienzusammenhalt blieb bestehen. Es gab im Verlauf der Jahre mehrere Familientreffen mit bis zu 600 Angehörigen der Kuhn-Familie aus allen Teilen Südamerikas. Das brachte mich zu der Erkenntnis: "Wo es keine Kuhne mehr gibt, ist die Welt zu Ende". Die Brasilianer sind nicht so zurückhaltend. Dort sagt man: "Existem Kuhn como meto." d.h. "Kuhne gibt es wie Unkraut."
Mit dem Schiff ging die einst denkwürdige Reise der Ahnen von den Höhen des Hunsrücks in das Tal des Mittelrheines und dann ab Boppard rheinabwärts nach Amsterdam, wie oben beschrieben (Vg. Anm. 1, Bild 1).
Bevor das holländische Schiff Epaminondas von Texel aus in See stach, verstarben bereits zwei Frauen und zwei Kinder. Die erste war Maria Elisabeth Faller (27) aus Niederweiler. Sie kam aus dem gleichen landwirtschaftlich geprägten Dorf, aus dem auch die Familie des Johann Adam Kuhn ihre Reise antrat.
Sie fand bereits in Amsterdam auf dem Friedhof der Namenlosen, ohne Grabstein und Inschrift, ihre letzte Ruhe. (Bild 3). Die Familie musste ohne die geliebte Mutter weiter reisen.
Die 35jährige Anna Katharina Martini aus Womrath und die 11 jährige Margarethe Sonnet aus Daxweiler und der 3 Monate alte Säugling Susanne Ries aus Perscheid verstarben auf dem Weg zur Nordsee und wurden auf dem Friedhof Oudeschild auf Texel, der westfriesischen Nordseeinsel beerdigt (Bild 3)
Bei diesem "Beqraafplaats" in der niederländischen Provinz Nordholland handelte es sich um eine Begräbnisstätte, auf der hauptsächlich die am Strand angeschwemmten unbekannten Toten ihre letzte Ruhestätte fanden. Wenigstens ein schlichtes Holzkreuz setzte man auf den Gottesacker. Die Beisetzung, sofern man davon sprechen kann, fand ohne großen Aufwand statt, wobei die Leichen in roh gezimmerten Särgen im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Friedhofsbereich für Namenlose verscharrt wurden. Von einer würdevollen und persönlichen Trauerfeier, welche dem Dank und Respekt dem Verstorbenen gegenüber dienen sollte, können wir nicht reden. Die Reise musste schließlich weiter gehen. Viele Details und Etappen dieser Auswanderung sind mit Dokumenten erfasst und belegt. Auch das Koblenzer Amtsblatt 1827/28 berichtet über die Verluste unter den Auswanderern und nennt die Namen der Toten und deren Begräbnisstätten. Als Fracht, nicht als Menschen, dicht gedrängt auf engstem Raum im Zwischendeck, oft ohne Tageslicht und Frischluft, traten unsere Vorfahren ihrer Reise an. Für viele sollte es zur Fahrt in die Ewigkeit werden. Der Tod war plötzlich kein Einzelschicksal mehr unter den Auswanderern, sondern alltäglich.
Auf See fanden weitere 36 Auswanderer ein Grab auf dem Grunde des Ozeans. Offensichtlich hatten sich manche Auswanderer schon in Amsterdam angesteckt, wo schließlich Krankheiten wie Gelbfieber aus Seehäfen verschiedener Kontinente eingeschleppt wurden. Wegen der Ansteckungsgefahr wurden die Toten unverzüglich dem Meer übergeben. Zum Abschied blieb wenig Zeit. Zuerst wurden die Verstorbenen in ein Segeltuch genäht. Nach einer kurzen Andacht und dem "Vater unser" wurde das Kopfende der Bahre angehoben. Wer konnte, erwies dem Toten die letzte Ehre. Dann fiel mit einem dumpfen hohlen Ton der leblose Körper hinab ins Meer.
Die Toten wurden so verabschiedet, wie sie es sich bestimmt nicht gewünscht hätten. Ihre Namen wurden nicht in Stein gemeißelt. Man übergab sie dem Meer, ohne Kranz und ohne Blumen. Ein letzter Gruß, dann war alles vorbei.
Künftig gab es für die Trauer der Familie keinen örtlichen Bezug. Gefühle wie Verzweiflung, Einsamkeit, Leere, Wut, Angst und Schmerz als Folge der Trauer, mit der diese Menschen teilweise nicht umgehen konnten, belastete sie vermutlich unbeschreiblich. Kein aufrechtes sinnbildliches Zeichen für die Auferstehungshoffnung, an dem man zu seinem nahen Anverwandten beten konnte. Kein Trost spendender Ort für die Hinterbliebenen, kein Ort des Gedenkens."
In einem Reisetagebuch lesen wir: "Die arme Mutter hatte mit diesem kranken Kinde schwer ausgestanden. Sie weinte bitterlich, dass ihr heimatloses Söhnchen im tiefen Meere ein Raub der Fische werden müsse. Der Anblick wo eine solche Leiche den Wellen hingegeben wird, ist Herz ergreifend und wer das Schicksal hat seine Angehörigen auf einer Seereise zu verlieren, empfindet doppelt, wenn er auf solche Weise die letzten Überreste seiner Lieben in das nasse Grab versenken sieht. "Krankenlokale" wurden täglich ausgeräuchert, um die Gesundheit der übrigen Leute auf dem Schiff zu erhalten.
Einige litten furchtbar und starben an Blattern für welche es keine Medikamente an Bord gab. Standartmedikamente an Bord waren lediglich Salmiak, Brust- und Nierentee sowie die Allheilmittel Rizinusöl und Bittersalz".
Endlich! Nach 6 Monaten erreichte das Auswanderschiff Rio! Wer schon einmal den Zuckerhut und Corcovado erlebt hat, kann nachvollziehen, was unsere Hunsrücker empfanden, als sie in die Guanabara Bucht von Rio de Janeiro segelten. Sie waren endlich im Land ihrer Träume angekommen und hatten als Überlebende die unsäglichen Strapazen der Atlantiküberquerung überstanden. Fortan waren sie Kolonisten. Dies stand schwarz auf weiß mit großen Lettern auf der Urkunde, die sie ausgehändigt bekamen.
Während der Wartezeit auf die Weiterreise in die "Deutsche Kolonie" mussten auf dem dortigen Friedhof noch 8 Verstorbene, sechs Kinder und zwei Erwachsene beigesetzt werden, ohne sichtbare Zeichen der Erinnerung. Auch ihre Namen wurden nicht in Stein gemeißelt. Kein Ort, an dem Trauernde mit ihren Verstorbenen reden, beten und sich an sie erinnern konnten... Es waren:
- Die zweijährige Maria Hetzel aus Dickenschied.
- Die vierjährige Maria Martini. Ihre Mutter und ihre einjährige Schwester ruhen auf dem Meeresgrund.
- Die dreijährige Philippina Kaiser aus Simmern.
- Die dreimonatige Maria Augustin aus Mörschbach.
- Die zweijährige Katharina Kiebenisch aus Seesbach und ihr Vater fanden ihr nasses Grab.
- Die zweijährige Susanna Fritsch aus Lötzbeuren sowie ihre siebenjährige Schwester wurden dem Meer übergeben.
- Die dreiundsechzigjährige Philippina Kaiser aus Simmern.
- Und die vierunddreißigjährige Maria Hexel aus Hausen.
Nach mehr als 180 Jahren trafen sich Nachfahren der 5. Generationen der Nachkommen des Auswanderer Johann Adam Kuhn *1785 und ein heute in Mannheim lebender Abkömmling des Dorfschmiedes von Hahn/Hunsrück, jenes im Land gebliebenen Bruders Anton (*1781). Es war selbstverständlich, dass man gemeinsame Erkundungsreisen durch Rio Grande do Sul unternahm. (Bild 6)
Als "Deutschländer" zieht man unwillkürlich Vergleiche zu den Friedhöfen in der Heimat. Mehrfach fanden sich noch die Gräber von Einwanderern, die stolz von ihren Nachfahren auch nach 180 Jahren als Denkmal der eigenen Familiengeschichte in Ehren gehalten werden. Der Friedhof als kulturhistorischer Ort! Für Familien- und Einwanderungsforscher ist er tatsächlich eine bedeutende Quelle von Zeugnissen in Stein gemeißelt.
Man erlebt, dass die Auswanderer ihre gebräuchliche, heimatliche Bestattungskultur und gängige Grabformen mit nach Südamerika nahmen. Nachfolgende Generationen erkennen dabei, dass Grabsteine in Stein gemeißelte Genealogie sind und zugleich eine wichtige und individuelle kulturelle Funktion erfüllen. Sie sind Zeugen des Totenkults der Kulturen, erzählen Geschichten und erschließen Welten. Meist waren die ersten Grabsteine aus speziellen Sandstein-Felsen, die leicht zu bearbeiten waren.
Oft Iliest man den Geburtsort in Deutschland oder sieht einen Anker auf dem Grabstein. Nicht immer ist die Friedhofsgemeinde auch der Sterbeort.
Ich lernte bei meinen Nachforschungen, dass Friedhöfe nicht nur traurige Orte sein müssen, sondern auch historische Plätze mit kulturellem Wert. Ein Freund meinte hierzu: "Wie können wir eine Zukunft haben, wenn wir die Vergangenheit unserer Ahnen nicht erfassen". (Bild 7)
Bei früheren Besuchen in Sao Paulo hatte ich einige Begräbnisstätten am Rande der Straße bemerkt. Man hat sie wahrgenommen. Ich erinnere mich an einen Friedhof nahe der Autobahn bei Sao Paulo. Die Recherchen ergaben, dass dieser Friedhof eng mit der veränderten Bestattungskultur der Einwanderer verbunden war und Friedhofsgeschichte geschrieben hat. Die damalige Staatsreligion war ausschließlich katholisch und es war mancher Orts Tradition, die Menschen in der Kirche zu bestatten. Nur Katholiken hatten dieses Vorrecht. Ein Ereignis setzte die Diskussion in Gang, als ein beliebter, aus Deutschland stammender Hochschullehrer starb. Weil er Protestant war, sollte er auf dem Grabplatz der Gehängten beigesetzt werden. Seine Studenten kämpften und sorgten für eine würdigere Grabstätte. Der Staat reagierte darauf und ein kaiserliches Dekret regelte die Fragen der Grabstätten in einer bedeutenden Reform für die Zukunft neu. In seinem Buch: Reisen durch Südamerika, schrieb Johann Jakob von Tschudi zu diesem konkreten Fall des Gründers der brasilianischen Burschenschaften:
"Unter dem Steine ruht ein Deutscher aus edler hochangesehener Familie, der unter dem, pseudonymen Namen "Julius Frank" aus Gotha als Professor der Geschichte an der Universität angestellt war und im Jahre 1841, erst 32 Jahre alt, starb. Da er Protestant war, verweigerten die Geistlichen der Leiche das Begräbniss auf dem katholischen Kirchhofe, und da es zu jener Zeit noch keinen protestantischen Friedhof in Säo Paulo gab, so beerdigten die Studenten den hochverehrten und sehr geliebten Lehrer an dieser Stelle und setzten ihm ein ehrende Denkmal."
Unsere Einwanderer in der deutschen Kolonie Rio Grande do Sul bestatteten in den ersten Siedlerjahren ihre Angehörigen auf eigenem, privaten Grund und Boden ihrer Kolonie.
Später entstanden Friedhöfe bei der Konfessionen in den Gemeinden und rund um deren neu erbauten Kirchen und meist an den Hauptstraßen gelegen. (Bild 8)
Am Beispiel Jakob Altmayers und seiner Frau Magdalena geb. Kuhn kann gezeigt werden, auf welche Weise der Toten gedacht wurde:
- Jakob wurde 1807 in Dillendorf geboren und seine Ehegattin 1814 in Sohren, also im einstigen Arrondissement Simmern des Kantons Departement de Rhin-et-Moselle.
- Alle standesamtlichen Eintragungen erfolgten zu dieser Zeit in französischer Sprache. Es galt der Code civil (1804-1815), bekannt als Code Napoleon.
- Der Landkreis Simmern wurde im Jahr 1816 eine vom Königreich Preußen geschaffene Verwaltungseinheit.
In den Kirchenbüchern finden sich die familiären Wurzeln der beiden. Bei Jakob Altmayer gehen sie 3 Generationen zurück bis 1736 nach Oberkirn (Daniel Altmayer). Die Vorfahren von Magdalena Kuhn reichen 5 Generationen zurück bis 1661 (Peter Kuhn Denzen).
Das Ehepaar ist 1901 verstorben, Johann wurde 94 Jahre alt, seine Frau erreichte das 87. Lebensjahr. Beerdigt wurden beide auf dem katholischen Gemeindefriedhof zu Hamburgio Velho. (Bild 10). Die Familie einer ihrer Töchter holte die Grabplatte später für ein Familiengrab einer nachkommenden Generation zu sich. Die 21 genealogischen Daten auf diesem Grab sind fast schon der Beginn eines Familienbuches.
Aus dem "Katholischen Familienfreund", erschienen 1928 in Brasilien, wissen wir: Beide vermählten sich ein halbes Jahr nach der Ankunft in Brasilien am 24. Juni 1828.
Sie heiratete ihn mit 14 Jahren, damit der junge Mann als Verheirateter mit ihr eine "Kolonie" in der "Schwabenschneis" bekam, also im Tal und nicht im Urwald seinen Bauernhof anlegen und bewirtschaften konnte.
Sie hatten 13 Kinder. Nach 100 Jahren hatten Jakob und Magdalena 1005 Nachkommen, wie der "Farnilienfreund" bezeugt (Bild 11): Jakob, der Bruder von Magdalena Kuhn, zog später nach Estrela weiter. Er brachte es nach 100 Jahren auf 629 Nachfahren. Somit gab es nach einem Jahrhundert 1634 Nachfahren von Johann Adam Kuhn und Katharina Hess.
Durch andere Quellen ist bezeugt, dass "Altmayer, Heinrich Jakob, Schumacher aus Dillendorf, * Ohlweiler 25.11.1807, + Hamburgo Velho 03.03.1901, Besitzer des "Lote co/onial nr. 2" (Kolonie) in Novo Hamburgo war."
Später baute sein Sohn Johannes ein Haus auf dem ehemaligen Bauernhof, das bis vor kurzem noch bestand, an der General Osorio-Straße, Nr. 49. Heinrich Jakob Altmayer spendete der katholischen Gemeinde zu Hamburgio Velho ein Landstück, auf dem der Friedhof und der Kirchenplatz errichtet worden sind. Auf diesem Friedhof wurde er zuletzt auch beerdigt (Hunsche; Leopoldo Petry). Durch folgende Zeitungsnotiz steht fest, dass die Altmayers und die Familie Kuhn heimlich nach Brasilien ausgewandert sind (Bild 12).
Carlos Kuhn, die Familien-Klammer zwischen den Kontinenten (Bild 13)
Es war im Jahre 1926, als die Familie meiner Großeltern in Hahn/Hunsrück Besuch aus Brasilien bekam. Carlos Kuhn, der Urenkel des Auswanderers Johann Adam Kuhn war durch Grundstücke und eine Mühle wohlhabend geworden und lebte in Linha de Gloria. Er war Besitzer mehrerer Teeplantagen. In Rio Grande do Sul war er bekannt wie ein "Bunter Hund". Sie nannten ihn den Bienenkönig, weil er die Bienenzucht in großem Umfang betrieb.
Bei der Geburt seines 11. Kindes verstarb seine Frau (Bild 15). Er suchte verständlicher Weise eine Ehefrau für die Versorgung seiner Kinder und die Absicherung seines Alters. Da machte er sich auf die Brautschau nach Europa auf und kam unter anderem auch auf den Hunsrück. Eine Schwester meines Großvaters hatte er im Visier. Aber sie gab ihm einen Korb, blieb im Lande und ernährte sich redlich. Danach machte er noch eine Rundreise durch exklusive Badeorte Österreichs und der Schweiz. Als ihm das Geld knapp zu werden drohte, nahm er statt einer Frau aus Deutschland einen damals modernen Ford T4 mit dem Schiff nach Bom Retiro/Brasilien. Es soll das erste Auto in der Region gewesen sein.
Beim Rundgang über den Friedhof von Linha Gloria, Bez. Estrela, fanden wir unverhofft einen Mosaikstein in der Familiengeschichte von Pater Darci. Seine Mutter, Maria Olga Kuhn *1913, war Tochter von Carlos Kuhn und Enkelin in 4. Generation vom Einwanderer Johann Adam Kuhn. Sie heiratete Raymundo Dutra *1912, dessen Familie von den Azoreninseln eingewandert ist und sich unter den deutschen und italienischen Einwanderer niederließ. Man sprach Deutsch untereinander. "An dieser Stelle ruhte AMARO DUTRA (1856-1926), der Onkel von P. Darcis Großvater José Pedro DUTRA", verkündet die Inschrift des Grabkreuzes.
Die Tragödie der Mucker
Zwischen Ferrabraz und dem Hamburgerberg in der "Kolonie" gab es den sog. Leoner Hof des deutschen Bauern Johann Georg Maurer. Er war bis weit nach Porto Alegre bekannt als Wunderdoktor und hatte auch Erfolge bei der Heilung der Siedler mit Hilfe von pflanzlichen Medikamenten. Schnell hatte er ein kleines Krankenhaus auf seinem Hof. Irgendwann kam man auf die Idee, dass seine Ehefrau Jakobine Maurer eine Hellseherin und mit göttlichen Kräften begabt sei.
Bald hatte sie zahlreiche Anhänger, die die "neue Prophetin" verehrten und glaubten, sie heilte ihre Seele. Die Sekte war als "Mucker" bekannt. Irgendwann gab es in dem Land, das schließlich in Europa mit Religionsfreiheit warb, deswegen Mord und Totschlag und am 28. Juni 1874 griff die Polizei ein. Diese beklagte auf ihrer Seite 39 Opfer, während die Mucker, die erbitterten Widerstand geleistet hatten, sechs Tode verzeichneten. Die Tragödie ging in die Geschichte ein und die Grabstätten sind erhalten und werden heute noch reichlich besucht.
Franz Kuhn
Manchmal war das Leben in Südbrasilien nicht ungefährlich, wie uns die Lebensgeschichte von Franz Kuhn belegt. Edgar Reitz liess in seiner Filmreihe "Heimat" das Korbmachers Hänsje sagen: "En anständische Hunsrücker hat verwandte in Brasilje un im Ruhrgebiet." Das war auch in unserer Familie so. Ein Bruder vom Großvater gründete seine Familie im Ruhrgebiet. Irgendwann belegten Studien, dass ein weiterer Kuhn aus Hahn an die Ruhr emigrierte. Im Zuge der Industrialisierung übersäten binnen weniger Jahre Zechen, Kokereien, Eisenhütten und Stahlwerke das Land an der Ruhr. Unsere Hunsrücker ließen sich um Herne nieder. Ein Nachkomme dieses Familienzweiges, der 1901 in Schalke geborene Franz Kuhn, wanderte mit 23 Jahren nach Brasilien aus. Am 26. April 1929 starb er durch Mörderhand. Sein erstes Kind war gerade 4 Wochen alt.
Unsere argentinische Verwandtschaft In den frühen zwanziger Jahren setzte eine Weiterwanderung von Südbrasilien in die argentinische Provinz Misiones ein. Auch Nachkommen der Siedler, welche einst vom Hunsrück nach Brasilien wanderten, zogen weiter in das Nachbarland. Darunter war der Urenkel von Paul Kuhn mit seiner Frau Emma Catharina Alles. Pedro Kuhn wird heute noch als Mitbegründer von Puerto Rico verehrt.
Nach ihm ist eine Straße benannt. Beide hatten insgesamt 11 Kinder und bei einer der letzen Zählungen kam man auf geschätzte 300 Kuhne. In den letzten Jahren fanden gegenseitige Kontakte zwischen den Familien statt.
Trauerbegleitung
Wenn der Tote im eigenen Haus verstorben war, erfolgte eine Aufbahrung im Kreise der Angehörigen oder an einem öffentlichen Ort. Die Trauerfeier und Beerdigung erfolgten unter der Anteilnahme der Verwandtschaft, Nachbarschaft und von Freunden. Wenn ein Bestatter für das Herrichten des Toten zuständig war, kümmerte dieser sich zugleich um Sarg, Dekoration, das Ambiente um den Verstorbenen und die standesgemäße Aufbahrung. 1864 schrieb Franz Epp über seine Reiseerlebnisse durch Rio Grand do Sul:
"Der Leichenwagen sah aus wie eine altmodische Staatskutsche, roth mit vergoldeten Schnitzwerk Kutscher und Lakay in dreieckigem Hut, Frack den Degen an der Seite kurzen Hosen seidenen Strümpfen und Schnallenschuhen. Die deutschen Bürger Porto Alegres gaben dieser Leiche das Geleite zu Pferd. Der Kirchhof von Porto Alegre liegt eine starke halbe Stunde von der Stadt sehr schön am Abhange des Gebirges."
Man war sich unter den Zuwanderern einig, die traditionelle heimische Bestattungskultur zu pflegen und beizubehalten. Das fanden wir immer wieder an würdigen Grabstätten, welche den Dahingeschiedenen ein Anrecht auf Gedenken und Erinnerung sichern sollte. Die zahlreichen Plastikblumen auf den Gräbern sind der großen Hitze geschuldet.
Es ist selbstverständlich, dass zu dieser Kultur auch das Handwerk aus der Heimat gehörte. Der Schreiner war ein gefragter Handwerker in den Aufbaujahren. Als Stellmacher (Acker-und Kutschenwagen), Möbelschreiner und Sargtischler.
Da war es dann auch üblich, dass der Schreiner das Bestattungswesen vor Ort mitbetrieb und für den Sarg und die Aufbewahrung sorgte. Auch der Brauch, Grabmäler auszugestalten, war ein altes Handwerk aus der Heimat. Diese Arbeit besorgten Steinmetze, wie die unten stehenden Zeitungsanzeigen belegen.